Altenzentrum Rheinauen Diepoldsau

Politische Gemeinde Diepoldsau SG

9444 Diepoldsau, CH

Pflege/Gesundheit

2016

engere Wahl Studienauftrag

      • Heaven can wait!
        ... an Demenz erkrankte Menschen seien wie kleine Kinder, kaum ein Text der auf diese Metapher verzichtet und das ist ärgerlich. Der erwachsene Mensch kann sich unmöglich zu einem Kind zurück entwickeln, da es zum Wesen des Kindes gehört, dass es sich nach vorne entwickelt.
        Der Umgang mit Kindern schärft den Blick für Fortschritte, der Umgang mit Demenzkranken den Blick für Verlust.

        Die Wahrheit ist, das Alter gibt nichts zurück!
        (Zitat: „Der alte König in seinem Exil“, Arno Geiger, Hanser Verlag)

        Die gegenwärtige rurale Struktur von Diepoldsau im Bereich der Rheinauen besteht aus einer Vielzahl von unterschiedlichsten gut vernetzten Außenräumen und Sportflächen. Die Durchlässigkeit dieser dörflichen Räume entsteht und gewinnt erst durch diese alles überlagernde Verflechtung. Das bestehende Pflegeheim mit den ergänzenden Bauten wird hier zu einem kommunalen Zentrum zusammengefasst und ist integrativer Bestandteil dieses dörflichen Gefüges. Die Gebäude werden raumbildend dem Maßstab der Umgebung folgend zu einem einprägsamen gesellschaftlichen Drehpunkt verdichtet. Es entsteht ein Raum öffentlicher Vertrautheit mit hohem Aufforderungscharakter. Der Ort des ”Ankommens und Gehens” wird zu einem Ort des Beobachtens, des sehen und gesehen Werdens und des Verweilens - er wandelt sich zum einem kultivierten Dorfplatz, einem Ortsteilzentrum mit unterschiedlichsten öffentlichen Nutzungsmöglichkeiten. Der zweigeschossige zum Bestand parallele Neubau mit seiner verbindenden Mitte bildet aber nicht nur den Dorfplatz nach Westen Richtung Zentrum Diepoldsau, er gibt auch nach Osten den bestehenden gepflegten Naturraum Halt und Übersichtlichkeit. Die zentrale transparente Mitte - das Herz dieses Gebäudeensembles - ist Verteiler und Flaniermeile für alle Bewohner. Von hier aus werden gut überschaubar die Pflegeabteilungen als auch die gesamte Infrastruktur mit einprägsamen Blickbeziehungen zum ”Dorfplatz” als auch zu den Rundwegen in den Grünanlagen erreicht. Das äußere Erscheinungsbild und der Charakter des dreigeschossigen in mehreren Etappierungen
        ergänzten Bestandsgebäudes mit den rhythmisch vorgelagerten Balkonen nach Süden ist das eines Wohngebäudes. Diese äußere als auch die innere Struktur des Wohnens bleibt maßgeblich erhalten.

        Nach der Fertigstellung des Neubaus entstehen durch geringe Eingriffe in dieser Phase 52 Bewohnerzimmer über drei Etagen, die in einer weiteren Phase oder unmittelbar bedarfsgerecht – je nach Anforderung der Auslastung – modulartig im Norden auf 70 Zimmer und mehr ergänzt werden kann. Sechs, acht und zehn Zimmer reihen sich in kleineren Einheiten zusammengefasst um den inneren Schnittpunkt mit Dienstzimmer und dem gemeinsamen Aufenthalt zu einer Pflegeabteilung pro Geschoss. Der Entwurf der Wohnbereiche folgt im wesentlichen dem Wunsch des Betagten und Dementen nach Licht, Orientierbarkeit und Abwechslung. Die Erschließung einer Wohngemeinschaft folgt zentral aus der Flaniermeile. Man betritt ein kommunikatives, lichtdurchflutetes Raumkontinuum mit inneren Rundgängen und zahlreichen Ausblicken und Querverbindungen zum ”Dorfplatz” ebenso wie in die nahen umgebenden Naturlandschaften.

        ”Der Weg ist das Ziel” - Spaziergänge entlang der verbindenden Mitte - der Flaniermeile - sind begleitet von den zahlreichen Blicken zum Nachbarn und den verschiedensten Aktivitäten im und um das Haus. Dieser halböffentliche Charakter begleitet die Bewohner im Erdgeschoss zum Café, zum Restaurant und zum Wintergarten, im ersten Obergeschoss zum Coiffeur, der Werkstatt, den Therapie- und Fitnessräumen und im obersten Geschoss zum Raum der Stille als ruhender Endpunkt. Café, Restaurant und Wintergarten formen ein fließendes Raumkontinuum, das sich um einen inneren Patio rankt, sich weit nach Süden und den bestehenden Garten im Osten öffnet, nicht ohne den Eingangsbereich mit einzubeziehen. Begleitet werden diese Bereiche von den Räumen der Verwaltung mit dem Blick auf den Vorplatz. Der nach oben offene Patio ist nicht nur Lichtspender für die Demenzstation im ersten Obergeschoß eröffnet den Bewohnern Rundgänge mit anregenden Blicken in die Aktivitäten rund um die Restaurantebene. Von hier oben aus lassen sich auch Spaziergänge in den nach Osten offenen zirka 300 m2 großen Demenzgarten mit dem imposanten Panorama der Vorarlberger Alpen und der Sicht auf das wechselhafte Naturschauspiel der Rheinauen starten.

        Ein zweiter, kleinerer Eingang führt im westlichen Teil des Neubaus am Beginn des ”Dorfplatzes” in eine zweigeschossige Sheddach Halle. Sie ist sozialer, altersübergreifender Treffpunkt, Begegnungsort und Erschließung zugleich für die Kinderkrippe, die Ludothek, den Arzt und die 10 Betreuten Wohnungen im 1.Obergeschoss. Während sich die Kinderkrippe nach Süden erdig mit der Landschaft verzahnt öffnet sich die Ludothek zum ”Dorfplatz” mit einer Spiele Terrasse. All diese Räume sind integrativer Bestandteil des Gesamtkonzepts und sie sind intern gut mit allen anderen Bereiche verbunden. Wartende Eltern erreichen auf kurzem Weg das Café ebenso einfach wie die Bewohner des betreuten Wohnens den Mittagstisch des Restaurants.
        Offenheit, Transparenz, kurze Wege und funktionelle Übersichtlichkeit schaffen im gesamten Ensemble Möglichkeitsräume, die Vertrautheit und Entspannung sowie Aktivität und sozialen Kontakt erlauben und die Vielfalt des Zusammenlebens zulassen. Die äußere Hülle wird von der Farbe des weißzementhaltigen Betons und von der Struktur der vorgefertigten Holzelemente geprägt. Die inneren, warmen, haptischen Materialen korrespondieren mit den äußeren. Das bestehende Gebäude bleibt in seiner Materialität unangetastet und wird nur behutsam adaptiert. Durch die kompakte Gebäudeform des Neubaus und der Kombination von geringer Gebäudehülle und intelligenter Lüftungsanlage lässt sich dieses Gebäude energetisch gut betreiben. Die innere klassische Stahlbetonskelettbauweise und die vorgefertigten Außenwandelemente in Holzleichtbauweise unterstützen diese Absicht. Die hinterlüftete, stehende Außenschalung wird nachhaltig aus Rift- und Halbriftbrettern der unbehandelten Weißtanne gebildet. Die in hohem Maß vorgefertigten Bauteilelemente mit integrierten Fenstern ermöglichen eine schnelle Montage und eine kurze Bauzeit.

      • Die Natur als erlebbarer Bestandteil der Jahreszeiten

        Durch die Anordnung des Gebäudeensembles entstehen neue öffentliche und geschützte Gartenbereiche, gefasst in einer Parkanlage mit einem Rundweg, welcher die einzelnen Räume verbindet und erlebbar macht.
        Der Dorfplatz ist Ankunfts- und Begegnungszone, bildet ein einladendes Entree für das Alterszentrum und lädt mit Bänken unter gefüllt blühenden Vogelkirschen sowie einem Wasserspiel zum Verweilen, Beobachten und Spielen ein. Durch seine Großzügigkeit kann er für gemeinschaftliche
        Veranstaltungen wie z.B. Osterbasar, Adventsmarkt o.ä. genutzt werden. Dem gegenüber steht der „alte Gartenteil“ welcher durch die Anordnung der Neubauten einen intimen Charakter erhält. Die Bewohner finden hier Ruhe und Entspannung und können die unterschiedlichen, größtenteils schon bestehenden, Gartenelemente wie Wassergarten, Duftgarten mit Brunnen, Herbstgarten, bunte Staudenbeete, Gemüse und Kräutergarten sowie das Tiergehege, mit allen Sinnen erleben. Das neue Restaurant mit Café und Biergarten unter Kirschbäumen (Prunus avium ‚Plena’) wird neben der Nutzung durch die Bewohner und ihre Besucher zum Ausflugsziel für Velofahrer und Spaziergänger zwischen Dorfzentrum und den nahen Rheinauen. An sonniger Lage, direkt neben dem Café gliedert sich der Rosengarten an. Der Spielplatz der Kinderkrippe ist so angeordnet, dass er auch außerhalb der Krippenöffnungszeiten genutzt werden kann. Eine Streuobstwiese bildet den Übergang zur angrenzenden Landschaft und einen Filter zum Einfamilienhausquartier. Im nördlichen Gartenteil führt der Weg durch einen Waldgarten. Vorhandene Bäume, sowie die geschützte Linde und der Grillplatz bleiben erhalten und werden mit neuen Bäumen ergänzt. Diese bieten an warmen Sommertagen einen kühlen und schattigen Rückzugsort. Die Demenzabteilung und ihr Garten bilden einen eigenen, in sich geschlossenen und stimmungsvollen Bereich. Der begrünte Innenhof mit Amberbaum macht die verschiedenen Jahreszeiten auch im Gebäude spürbar. Ein fließender Übergang vom Innenraum in den Dachgarten bietet vielfältige, adäquate Attraktionen die dem erhöhten Bewegungsdrang von Menschen mit Demenz zur Verfügung stehen. Ein Duftgarten mit Brunnen, Hochbeete, verschiedene Blütenstauden, Kräuter und Gehölze sowie Nischen, ein schattenspendender Ahorn und eine Pergola laden zum Beobachten, Verweilen und zum gemeinsamen Tun ein. Der Dachgarten wird von unterschiedlichen Kletterpflanzen umrankt die ihn zu einem geschützten Raum machen aber auch abwechslungsreiche Ausblicke in die umgebende Landschaft, auf die Rheinauen und die Berge bieten.

        aus dem Jurybericht

        "... Die Projektverfasser haben sich intensiv mit dem Leben im dritten Lebensabschnitt auseinandergesetzt und dies analysiert und thematisiert.
        Die Idee ein Dorf im Dorf zu schaffen und dieses mit Leben zu füllen, besticht und ist ganz im Sinne der Auslober. Hierfür wird vor das bestehende Altersheim ein zweigeschossiger, pavillonartiger Baukörper gesetzt und mit einem dreigeschossigen Bindeglied an den Bestand angebunden. Die Verfasser erzeugen so zwei offene Höfe die jeweils mit einer klaren Aufgabe versehen sind.
        Der westliche, an der Strasse gelegene Hof, soll als „Dorfplatz“ aktiv genutzt werden. Hierfür schlagen die Architekten vor, den Zugang sowohl für das Pflegeheim wie auch für die Nebennutzungen (Arztpraxis, Ludothek und Kinderkrippe) zu organisieren. Dabei soll auch der Zugang für die Bewohner des betreuten Wohnens zu ihren Kleinwohnungen über den Eingang der Ludothek und der Kinderkrippe erfolgen. Die Idee der Verfasser, so einen belebten Ort zu kreieren, wird verstanden. Es wird jedoch in Frage gestellt, ob dieser Umstand die Attraktivität der Wohnungen steigert. Die Menschen, die eine betreute Wohnung wünschen, möchten zwar den Service des Heimes, sie möchten jedoch noch nicht im Altersheim wohnen.
        Sämtliche Pflegestationen werden im bestehenden Gebäude samt Annex organisiert. Das Handicap der bestehenden Niveauunterschiede wird mittels grosszügigen Rampen gelöst. Wichtiger Bestandteil des Gesamtkonzeptes bildet der zentrale „Boulevard“, der die verschiedenen Funktionen miteinander verbindet und dadurch stark belebt sein soll. Dieser Verbindungsbau ist gekonnt räumlich differenziert und öffnet sich im Süden zum gastronomischen Zentrum der Anlage. Die brandschutztechnischen Anforderungen im Obergeschoss (Fluchtwege) sind noch nicht gelöst. Bei dieser spannenden Organisation entstehen lange Wege für die Bewohner und das Personal.
        Die Setzung des zweigeschossigen Pavillons und der Umgang mit dem Bestand sind gut gewählt und bilden ein schlüssiges Ensemble, das ortsbaulich gut vertretbar ist. Die Silhouette des Bestandes wird durch den niedrigen, neuen Baukörper gewürdigt. So soll die bestehende Identität des Ortes erhalten und unterstrichen werden. Weniger verständlich ist die Stellung und Art der Anbaute für die 18 Zimmer im Norden des Bestandes. Dieser Annexbau hat nicht die Qualität der Eingriffe im Süden und wirkt störend für die Einheit des Ganzen. Im Aussenraum führt ein Rundweg in nächster Nähe um den Gebäudekomplex, vorbei an verschiedenen Themenbereichen. Es entsteht jedoch keine Raumabfolge, da der Weg die Grenze bildet zwischen hausnahen Gartenbereichen, einer Streuobstwiese im Süden und dem „Wäldchen“ im Norden. Der Spielplatz der Kinderkrippe liegt peripher und ist durch eine Hecke abgegrenzt, so dass er nicht zum Begegnungsort von Kindern und Bewohner/-innen werden kann. Ein eher überdimensionierter „Dorfplatz“ verbindet das erweiterte Altersheim mit dem Quartier. Der vorhandene Garten wird teilweise beibehalten. Der lange Anlieferungsweg ohne Wendemöglichkeit für LKWs funktioniert wahrscheinlich nicht.
        Das vorgeschlagene Projekt ist durch seine Materialwahl ökologisch. Die grossen Verkehrsflächen und die Abwicklung der Fassadenfläche (inkl. fünfte Fassade) sind für die Wirtschaftlichkeit nicht förderlich. Gesamthaft ist das Projekt ein sehr interessanter, wichtiger Beitrag, der sehr gut präsentiert worden ist. ..."